Wie viele Schritte sind Sie heute gegangen? Wann war Ihre letzte Tiefschlafphase? Welche Apps haben Sie am längsten genutzt? Diese Fragen klingen futuristisch, sind aber für Emmanuel Gadenne, Gründer des Quantified Self Paris, alltägliche Realität. Im Interview erklärt er, wie die systematische Selbstvermessung unser Leben revolutionieren kann – und warum der bewusste Umgang mit persönlichen Daten der Schlüssel zum Erfolg ist.
Was ist Quantified Self?
Die Quantified-Self-Bewegung revolutioniert die Art, wie wir unseren Körper und unser Verhalten verstehen. Dabei geht es darum, persönliche Daten systematisch zu erfassen, zu analysieren und daraus Erkenntnisse für ein besseres Leben zu gewinnen. Emmanuel Gadenne, Gründer des Quantified Self Paris, zeigt in seinem Alltag, wie umfassend diese Selbstvermessung bereits heute möglich ist.
Ein typischer Tag im Leben eines Quantified-Self-Anhängers
Gadennes Morgen beginnt nicht mit einem herkömmlichen Wecker, sondern mit einem stillen Alarm seines Fitbit-Flex-Armbands, das zuvor Länge und Qualität seines Schlafes gemessen hat. Beim Wiegen übertragen seine Withings-Waage die Daten automatisch via Bluetooth an sein iPhone. Den ganzen Tag über erfasst das Armband kontinuierlich:
- Anzahl der Schritte
- Verbrauchte Kalorien
- Zurückgelegte Kilometer
- Erklommene Etagen
Sogar sein Verhalten in sozialen Netzwerken wird durch die Brewster-App analysiert, um herauszufinden, mit wem er am häufigsten kommuniziert.
Technologische Revolution der Selbstbeobachtung
Während Menschen schon immer ihr Gewicht notierten oder Ernährungstagebücher führten, ermöglichen moderne Technologien eine völlig neue Dimension der Selbstvermessung:
Kostenlose Web-Apps speichern Daten in der Cloud und machen sie jederzeit verfügbar. Mobile Apps begleiten uns überall und nutzen die bereits im Smartphone vorhandenen Sensoren. Kleinere, günstigere Sensoren registrieren automatisch persönliche Daten, ohne dass aktives Zutun erforderlich ist
Sinnvolle Zielsetzung statt obsessive Datenjagd
Gadenne betont, dass es nicht um das bloße Sammeln von Daten geht, sondern um die Verfolgung konkreter, miteinander verbundener Ziele:
- Gewichtsreduktion
- Mehr körperliche Bewegung
- Ausgewogenere Ernährung
- Längerer und besserer Schlaf
Diese Ziele sind miteinander verknüpft – beispielsweise erschwert zu wenig Schlaf das Abnehmen. Durch kontinuierliche Messung lassen sich Veränderungen frühzeitig erkennen, bevor drastische Maßnahmen erforderlich werden.
Datenschutz und der „gläserne Mensch“
Die Bedenken um Datenschutz sind berechtigt, doch das Quantified Self bietet Kontrolle über die eigenen Daten. Der Prozess gliedert sich in drei Schritte:
- Datenerfassung
- Analyse
- Selektives Teilen
Nutzer entscheiden selbst, ob, wie und mit wem sie ihre Informationen teilen. Die französische Datenschutzbehörde CNIL empfiehlt:
- Daten nur in vertrauten Kreisen teilen
- Pseudonyme in sozialen Netzwerken verwenden
- Automatische Veröffentlichungen verhindern
- Daten nach Beendigung der Nutzung löschen
Die Philosophie des Quantified Self
Quantified Self bedeutet mehr als nur Datensammlung. Es ist eine Haltung der Neugier und des bewussten Experimentierens mit neuen Technologien und Methoden. Dabei geht es um:
- Selbstfürsorge: Sich Zeit nehmen, um auf den eigenen Körper zu achten
- Relevante Daten: Sich für Informationen interessieren, die wirklich für die eigene Gesundheit und das Wohlbefinden zählen
- Gemeinschaft: Sich mit anderen austauschen und von ihren Erfahrungen lernen
- Schrittweise Verbesserung: Große Ziele in kleinere, erreichbare Etappen unterteilen
Herausforderungen und Grenzen
Nicht alle Quantified-Self-Projekte sind erfolgreich. Das Beispiel des Schlaftrackers Zeo zeigt die Grenzen auf: Trotz innovativer Technologie scheiterte das Unternehmen an Finanzierungsproblemen und praktischen Hürden wie einem unbequemen Stirnband, das nachts getragen werden musste.
Fazit: Werkzeug zur Selbsterkenntnis
Das Quantified Self ist weder Selbstzweck noch Datensammlung um ihrer selbst willen. Richtig angewendet, kann es ein mächtiges Werkzeug zur Selbsterkenntnis und Lebensverbesserung sein. Die Kunst liegt darin, die richtige Balance zwischen bewusster Selbstbeobachtung und einem natürlichen, unverkrampften Umgang mit dem eigenen Körper zu finden.
Die Zukunft der Selbstvermessung wird davon abhängen, ob es gelingt, die technischen Möglichkeiten mit menschlichen Bedürfnissen nach Privatsphäre, Praktikabilität und echter Lebensqualität in Einklang zu bringen.